Wer den Titel hört, denkt meist fälschlicherweise an Peter Ustinov, denn es war eigentlich Albert Finney, der in der berühmten Filmfassung von 1974 den belgischen Detektiven spielte. Aktuell wurde der Stoff auch von und mit Kenneth Brannagh 2017 erneut verfilmt, doch was ist all das gegen ein Liveerlebnis auf der Bühne?
Das dachten nicht nur wir als Theaterverein so, sondern mit uns eine große Anzahl von Zuschauern, die uns an zwei Wochenenden die Ehre gab und mit uns fieberten und die insgesamt fünf Aufführungen genossen.
Empfangen wurden die Zuschauer stilvoll mit einem Gang über den roten Teppich, begrüßt von netten Reisebegleitern, die ihre die Fahrkarten (Tickets, liebevoll gestaltet von Dennis Schmidt) kontrollierten. Der Zuschauerraum war mit Pflanzen dekoriert und eine große Leinwand ließ vermuten, dass sich das Theatererlebnis nicht nur auf der Bühne abspielen wird (Ausstattung Simone Schmidt). Und dann nahm der Zug nach einer kurzen Begrüßung durch die Vereinsvorsitzende Heike Lachnit Fahrt auf. Gleich zu Beginn erlebten die Zuschauer, dass die Leinwand Szenen aus der Vergangenheit und solche außerhalb des Zuges als Filmsequenzen widerspiegelt und ihnen somit die unerhörten Geschehnisse, die zum Mord führten, in eindrücklichen Schwarz/Weiß-Aufnahmen verdeutlichten (Filmaufnahmen: Hans Dernbach und Hartmut Rameckers).
Mörderische Zugfahrt
Nun aber zum Geschehen auf der Bühne. Im Stil der 20ger-Jahre gekleidet und effektvoll geschminkt (Kostüme Michaela Schmidt, Maske Petra Lehr) entwickelten die Reisenden im exklusiven Orientexpress ein wahrhaft atemberaubendes Wechselspiel aus Lug und Trug, durch das Thorben Horn als berühmter Detektiv Hercule Poirot, unterstützt von seinem alten Freund Bouc (André Bauer) den Pfad zur Wahrheit und damit zum Mörder finden musste.
Da war die stets aufdringliche und männermordende Mrs. Hubbart (Nicole Braun), die gerne mal den ruhigen und besonnenen Schaffner Michel (Max Pötz) mit zweideutigen Avancen aus der Fassung zu bringen versuchte, die scheinbar so souveräne Exilrussin Prinzessin Dragomirov (Margrit Pressler), der man einen kaltblütigen Mord mental zwar schon, aber körperlich dann doch nicht zutrauen konnte. In ihrer Begleitung die einem religiösen Wahn verfallene Missionarin Greta Ohlson (Sarah Sander). Schon früh demaskiert sich das heimliche und leidenschaftliche Liebespaar Oberst Arbuthnot und Miss Debenham (Dennis Schmidt und Annika Zimmer). Die mondäne ungarische Gräfin Andrejny (Desiree Friedrich) bringt den „alten Hagestolz“ Poirot dann doch ins Schwärmen. Manchmal übereifrig und indiskret, dann wieder ein flatterndes Nervenbündel muss Mr. McQueen (Jonathan Neust) der Tatsache ins Auge sehen, dass sein ehemaliger Chef, nun der Tote im Schlafwagenabteil, nicht ein simpler Geschäftsmann, sondern ein eiskalter Entführer, Erpresser und Killer war.
Alle werden mit der Zeit verdächtig und alle haben ein Alibi, und beginnt dieses Alibi zu wanken, dann geschieht Schreckliches, was den betreffenden Verdächtigen sofort wieder „reinwäscht“. Auf engem Raum, denn Gesellschaftswagen, Schaffnerabteil und die Schlafwagenabteile einiger Reisender sowie der Gang des Erste-Klasse-Abteils mussten sinnvoll und übersichtlich untergebracht werden (Bühnenbild: Andreas Weier), entwickelte sich die spannende Handlung um den Mord an dem unangenehmen Mr. Ratchett (in einer Doppelrolle Dennis Schmidt). Die Zuschauer waren in den Bann des Geschehens gezogen, auch durch die diversen Toneffekte, Musikeinspielungen und die Lichtregie (Technik: Frank Blättel). Diejenigen, die das Stück kannten, rätselten, wie man die komplexe Handlung auf die Bühne bringen kann, während diejenigen, die das Stück nicht kannten, sich in wilden Vermutungen ergingen, wer denn nun der Mörder sein könnte.
Wahrlich, das TAB ließ keine Möglichkeit aus, das Geschehen auf der Bühne so spannend und lebendig wie möglich an das Publikum zu bringen, das die Gesamtleistung von Schauspielern und Schaffenden hinter und vor der Bühne (Souffleur Lutz Lachnit) mit teilweise rasendem Applaus goutierte.
Als Regisseurin möchte ich mich bei allen Beteiligten für die tolle Arbeit bedanken. Es hat Spaß gemacht, dieses Stück in seiner medialen Vielfalt zu entwickeln und damit wieder einmal neuen Boden im Amateurtheater zu betreten. Es hat Freude gemacht, zu sehen, wie sich die Darsteller ihren teils sehr herausfordernden und skurrilen Charakteren annäherten, sie gestalteten und zu ihren Figuren machten. Es war schön, aus den vielen Versatzstücken am Ende ein rundes Ganzes zu gestalten und es war wie immer ein besonderes Erlebnis als Schicksalsgemeinschaft „Ensemble“ ein solches Stück über fünf Aufführungen zu tragen, über die Rampe ins Publikum zu tragen, das uns dann auch mit viel Applaus, vielen lobenden Kommentaren und teilweise sogar Standing Ovations bedachte. Dank auch noch einmal an meine Regieassistentin Sarah Horn, die während meiner temporären Abwesenheit die Regiearbeit übernahm, von der ich dann ganz am Ende der Produktion dann auch die Assistenz übernommen habe, da sie Mama wurde und deshalb bei den allerletzten Proben selbstverständlich nicht mehr vor Ort sein konnte.
Was macht Amateurtheater aus? Leidenschaft und Spiellust, Kreativität und Begeisterung, Ernsthaftigkeit, Verantwortung und zugleich Leichtigkeit und Spaß an neuen Herausforderungen, die Freude am gemeinsamen Arbeiten und Erleben. Unser „Mord im Orientexpress“ hat all das wieder in großer Deutlichkeit gezeigt und unser Publikum (dem wir natürlich auch herzlich danken) hat es uns mit viel Beifall gedankt.
Das macht uns immer wieder zu „Wiederholungstätern“ und so freuen wir uns, nachdem der Orientexpress ein letztes Mal in den Bahnhof eingefahren ist, bereits auf die nächsten Produktionen.